Interview

Die Beschäftigung
am Laufen halten

Entlassungen sind für die Betroffenen traumatisch. Finden sie in großem Stil statt, können sie eine ganze Region verändern. Die Bundesagentur für Arbeit hat das Instrument der „Arbeitsmarktdrehscheibe“ entwickelt, um den Strukturwandel konstruktiv zu begleiten. Das Ziel ist es, Arbeitslosigkeit erst gar nicht entstehen lassen. Gerrit Wolske ist Fachbereichsleiter bei der Regionaldirektion Niedersachsen-Bremen, hat schon einige Arbeitsmarktdrehscheiben aufgesetzt und erzählt, wie sie funktionieren und wie alle Beteiligten davon profitieren. 

Gerrit Wolske, Fachbereichsleiter Arbeitsmarkt & Weiterbildung Regionaldirektion Niedersachsen-Bremen, Bundesagentur für Arbeit 

Was ist eine Arbeitsmarktdrehscheibe? 
Eine Arbeitsmarktdrehscheibe bringt Unternehmen, die beispielsweise bei einer Restrukturierung Personal abbauen müssen, mit solchen zusammen, die Fachkräfte suchen. Dann schauen wir, welches Potenzial wird abgegeben und welchen Bedarf hat das aufnehmende Unternehmen. In der Mitte der Drehscheibe wird geprüft: Passen die Kompetenzen und Profile zum aufnehmenden Unternehmen, dann können wir sie direkt Job-to-Job vermitteln. Ist das nicht der Fall, suchen wir nach Möglichkeiten, die Kompetenzlücke zu schließen, idealerweise durch Qualifizierung direkt in der Beschäftigung. Das kann von niedrigschwelligen Maßnahmen bis hin zu vollständigen Umschulungen reichen und wird von uns gefördert. Grundprinzip ist, dass Arbeitslosigkeit idealerweise erst gar nicht eintritt und der Übertritt vom einen ins andere Unternehmen lückenlos vonstattengeht. 
Wie lang dauert es vom ersten Kontakt bis zum Stellenwechsel?

Es kommt auf den Einzelfall an. Wir haben Arbeitsmarktdrehscheiben, die sehr lange laufen. Der Klassiker: Ein Automobilzulieferer, der jetzt schon weiß, dass er Ende 2027 ein Werk bzw. bestimmte Sparten schließt. In dem Fall können wir das Ganze mit einem langen Vorlauf vorbereiten und prüfen, wer ist konkret betroffen und kann frühzeitig für neue Berufsprofile umgeschult werden. 

Wir haben andere Fälle, da läuft es ad hoc, z. B. bei einer Insolvenz. Das hatten wir im letzten Jahr mit der Peiner Umformtechnik und einem aufnehmenden Unternehmen in der Stahlproduktion. Die Peiner Umformtechnik musste Insolvenz anmelden und am Ende den gesamten Betrieb schließen. Wir haben innerhalb von wenigen Tagen aufnahmefähige Unternehmen in der Region gesucht. Vom Erstkontakt bis zum Übertritt dauerte es weniger als vier Wochen, da zunächst die Zukunft der 14 Auszubildenden im Vordergrund stand, deren Ausbildung andernfalls abgebrochen worden wäre. Bei den anderen Beschäftigten lief der Prozess schon parallel, da hat es dann gute 2-3 Monate gedauert bis zu den ersten Übertritten. Etwa 50 Personen sind allein zu einem anderen Betrieb gewechselt. Andere wechselten zu weiteren Arbeitgebern, denn bei dieser Arbeitsmarktdrehscheibe waren viele Arbeitgeber an Bord, die Fachkräfte suchten. 

Wie werden Beschäftigte auf den Übertritt vorbereitet?

Zunächst wird geprüft, welche Berufsprofile und Kompetenzen die Beschäftigten haben. Das Profiling der Kompetenzen machen entweder wir oder das abgebende Unternehmen; es gibt Arbeitgeber, die sind darin sehr gut und können präzise einschätzen, mit welchen Kenntnissen es am Markt schwierig sein könnte. Im Rahmen der individuellen Beratung der Beschäftigten prüfen wir deren Kompetenzen und entdecken dabei oft unerwartete Fähigkeiten sowie persönliche Interessen. Diese wären bei einer reinen Berufs- und Kompetenzbeschreibung gar nicht erkennbar; das gelingt nur im Rahmen einer individuellen Beratung. 

Ein anderer Punkt ist die Vorbereitung auf den Bewerbungsprozess. Manche Menschen brauchen hierbei keine Unterstützung. Andere sind schon Jahrzehnte im Betrieb und haben Bewerbungsverfahren noch in einer ganz anderen Zeit kennengelernt. Wir beraten sie und bereiten sie auch auf die Gespräche mit dem aufnehmenden Arbeitgeber vor. Der Vorteil ist: Wir wissen genau, was der Arbeitgeber sucht und erarbeiten mit den Beschäftigten ihre Stärken, die bei der Vorstellung ein Plus sind.  

Wie ist die Resonanz der Beschäftigten bei Arbeitsmarktdrehscheiben? 
Generell ist es so: Man braucht immer Leuchttürme, die zeigen, das ist eine echte Perspektive und nicht irgendeine versteckte prekäre Beschäftigung. Man muss es ja so sehen: Das ist eine schwierige Situation für die Menschen und da ist es im ersten Moment nicht immer einfach, überhaupt eine Perspektive für sich zu erkennen. Wenn dann aber ein oder zwei Leute das Beratungsgespräch annehmen und währenddessen erkennen, dass es für sie einen echten Mehrwert bietet, dann spricht sich das im Betrieb schnell herum. Und setzt dann auch etwas in Bewegung; ab da funktioniert es sehr gut.   
Funktioniert der Ansatz auch bei einem transformationsbedingten Personalabbau? 
Da kommt es stark auf die Qualifizierung und die Weiterbildungsbereitschaft an. Trotzdem erleben wir momentan am Arbeitsmarkt, dass das auch mit transformationsbedingten Freisetzungen noch sehr gut funktioniert. Wir haben beispielsweise in der Automobilwirtschaft oder der Chemie Berufsqualifikationen, die in anderen Branchen händeringend gesucht werden, z. B. in der Verteidigungs- oder in der Mobilitätsindustrie. 
Wie bereiten Unternehmen eine Arbeitsmarktdrehscheibe optimal vor?  
Es ist sehr wichtig, frühzeitig das Gespräch mit dem Sozialpartner im Betrieb zu suchen. Im nächsten Schritt sollten sie uns als BA frühzeitig hinzuziehen, um individuell über die Möglichkeiten informiert und beraten zu werden. Viele Betriebe kennen unsere Möglichkeiten nicht und sind überrascht in diesem Prozess frühzeitige Unterstützung zu bekommen. Ob Arbeitgeber oder Beschäftigte sie nutzen, liegt in der individuellen Entscheidung jedes Einzelnen. Alle unsere Dienstleistungen sind kostenfrei, die Möglichkeit einer Arbeitsmarktdrehscheibe gibt es bundesweit. Das Konzept beruht auf dem Prinzip der Freiwilligkeit, es gibt keine Sanktionen, wenn ein Betrieb oder Beschäftigte nicht mitmachen möchten. Es kann außerdem hilfreich sein, gezielt nach Netzwerken zu suchen, in denen Betriebe üblicherweise vertreten sind. Da gibt es vielleicht andere Arbeitgeber, die dringend Personal suchen. Manchmal lässt sich über den persönlichen Kontakt schon vieles direkt regeln.