Werden die Auswirkungen der Transformation noch unterschätzt?
Zurzeit ist Deutschland mit einer Reihe von Transformationen und Krisen konfrontiert, da fällt eine korrekte Einschätzung häufig schwer. Trotz der bereits sichtbaren Klimafolgen bleibt die ökologische Transformation oftmals ein blinder Fleck, während das Thema „künstliche Intelligenz“ teilweise überbewertet wird. Viele Unternehmen und auch Beschäftigte sind mit KI-Anwendungen schon gut vertraut. Dass die Auswirkungen der ökologischen Transformation oftmals unterschätzt werden, könnte vor allem an der zeitlichen Dimension liegen – die ökologische Transformation ist ein Marathon, kein Sprint, was ihre unmittelbare Wahrnehmung erschwert. Dabei werden gerade energieintensive Branchen und ihre Zulieferer in den kommenden Jahren vor großen Herausforderungen stehen.
Viele Beschäftigte werden ihre Qualifikationen ergänzen, manche den Beruf wechseln müssen. Unterstützen Arbeitgeber sie schon ausreichend?
Bei der Weiterbildung ist langfristig ein deutlicher Aufwärtstrend zu verzeichnen, auch das Niveau der Weiterbildungsquoten ist durchaus beachtlich. Dementsprechend funktioniert das – auch aufgrund der Unterstützung der Unternehmen – recht gut. Bei Berufswechseln, insbesondere bei unfreiwilligen, sind häufig Umschulungen notwendig. Hier stoßen Unternehmen teilweise an Grenzen. Daher brauchen wir hier staatliches Engagement durch geförderte Umschulungsprogramme speziell für Transformationsberufe.
Werden die bisherigen Weiterbildungsformate dem Wandel gerecht?
Prinzipiell funktioniert das System der Weiterbildung in Deutschland recht gut. Der demografische Wandel und die Transformationsgeschwindigkeit erzeugen jedoch ein Dilemma: Aufgrund der ökologischen und technologischen Transformation werden Weiterbildungen zunehmend wichtiger; gleichzeitig fehlt dafür häufig die Zeit. Stichwort: Fachkräftemangel. Die Zukunft liegt in modularen Weiterbildungs-Baukästen – flexibel, digital unterstützt und direkt am Arbeitsplatz integrierbar. Diese Teilqualifikationen können zum Erwerb weiterer Qualifikationen und vor allem erhöhten Kompetenzen führen und sollten daher einen größeren Raum bei der Weiterbildung einnehmen.
Der Strukturwandel trifft bestimmte Regionen stärker als andere. Worauf kommt es an, um ihn möglichst reibungslos zu gestalten?
Grundsätzlich kommt es vor allem darauf an, ein gutes unternehmerisches Umfeld zu schaffen. Entscheidend sind drei Faktoren: Abbau von Bürokratie, Förderung von Forschung und Entwicklung, damit Unternehmen und Beschäftigte von der Transformation profitieren können und eine proaktive Arbeitsmarktpolitik. Subventionen für einzelne Unternehmen sehe ich dagegen skeptisch. Bei der Arbeitsmarktpolitik halte ich die sogenannten „Arbeitsmarkt-Drehscheiben“ für eine gute Idee. Sie könnten dazu beitragen, dass insbesondere qualifizierte Fachkräfte aus Unternehmen, die Stellen abbauen müssen, in Unternehmen, die Fachkräfte suchen, vermittelt werden.
Veränderungen bieten auch Chancen. Was raten Sie Arbeitgebern und was Arbeitnehmenden, um optimal gerüstet zu sein?
Erstens ist ein möglichst hohes Qualifikationsniveau entscheidend. Daher halte ich die hohe Anzahl an Personen, die das Bildungssystem ohne Abschluss verlassen, für eine Katastrophe, die deutlich entschiedener bekämpft werden muss. Zweitens sollten sich Arbeitgeber und Arbeitnehmende nicht von den Kosten von Weiterbildungen abschrecken lassen, die zunächst recht hoch erscheinen können, sich aber mittel- bis langfristig auszahlen. Und drittens sollte das gute System der Aus- und Weiterbildung in Deutschland im bewährten Zusammenspiel von Unternehmen, Beschäftigten und den jeweiligen Interessensvertretungen weiterentwickelt werden.