Interview

Den Blick über den
Tellerrand ermöglichen

Die EWE AG ist ein Telekommunikations- und Energiedienstleister mit Hauptsitz in Oldenburg. In der Branche ist Flexibilität ein großer Wettbewerbsvorteil, um schnell auf neue Anforderungen reagieren zu können. Die rund 10.900 Mitarbeiterinnen und -Mitarbeiter spielen hierbei eine wichtige Rolle. EWE hat ein Hospitationsprogramm entwickelt, um konzernweit Anreize zu setzen, neue Aufgaben kennenzulernen, die eigenen Kompetenzen und Perspektiven zu erweitern und damit die Veränderungsperspektiven von allen Beschäftigten zu steigern. Marc Estorf ist für das Recruiting bei EWE verantwortlich.   

 

Marc Estorf, Leiter Recruiting, EWE AG

Was ist das Hospitationsprogramm? 

Das Programm haben wir 2021 auf die Beine gestellt. Mitarbeitende können für bis zu vier Wochen in einem anderen Fachbereich hospitieren. Seinerzeit gaben zwei Überlegungen den Anstoß: Einerseits wollten wir Mitarbeitenden in Geschäftsbereichen, die für den Konzern an Relevanz verlieren, die Möglichkeit geben, andere Tätigkeitsbereiche objektiv kennenzulernen. Andererseits sollten sich gegebenenfalls auch neue berufliche Perspektiven auftun. Zudem sollte das Hospitationsprogramm allen Beschäftigten offenstehen, die einen Blick über den Tellerrand ihres eigenen Arbeitsbereiches werfen möchten. Mit dem Ziel, Neues zu lernen, die Vernetzung im Konzern zu verbessern und insgesamt die Offenheit für Veränderungen zu fördern. 

Im Grunde genommen ist es eine temporäre Möglichkeit, sich in einem völlig anderen Bereich umzuschauen. Das muss gar nicht mit einem konkreten Bedarf zusammenhängen. Interessierte besprechen den Wunsch zunächst mit ihrer Führungskraft. Im zweiten Schritt wird dann Kontakt mit dem gewünschten Hospitationsbereich aufgenommen, bei Bedarf unterstützt von der Führungskraft oder HR. 

Wie haben die Führungskräfte darauf reagiert?
Führungskräfte unterscheiden sich: Manche zeigen sich besonders aufgeschlossen, während andere eher zurückhaltend sind. Aber sowohl diejenigen, die einer Hospitation ihrer Mitarbeitenden offen gegenüberstehen als auch die, die jemanden aufnehmen, profitieren. Die Beschäftigten kommen motiviert und mit ganz anderen Erfahrungen und Ideen zurück. Wenn sie die Prozesse und Anforderungen in anderen Bereichen besser verstehen, verbessern sich in der Regel auch die in ihrem eigenen Arbeitsbereich. Wir haben immer wieder die unternehmerischen und persönlichen Vorteile erklärt und über positive Beispiele berichtet. Und es hat tatsächlich ein Umdenken stattgefunden.  
Was passiert, wenn jemand wechseln möchte, aber noch Know-how fehlt?
Das ist immer individuell. Aber grundsätzlich unterstützen wir auch bei der Qualifizierung. Wir verfolgen intern seit einiger Zeit den Ansatz „70 ist das neue 100“. In der Vergangenheit war es bei Arbeitgebern ja oft so, dass man sich bei einer Stellenbesetzung eine Person wünschte, die die Anforderungen möglichst zu 150 Prozent erfüllte. Heute motivieren wir Führungskräfte, auch Menschen eine Chance zu ermöglichen, die vielleicht nur 70 Prozent der Qualifikationsanforderungen mitbringen. Das ist mit einer gewissen organisatorischen Kreativität machbar und wir unterstützen je nach Fall auch mit passenden Weiterbildungen. Perspektivisch bauen Mitarbeitende dann auch alle Skills auf, die für die Stelle benötigt werden.  
Wie wird das Programm angenommen? 
Wir haben inzwischen rund 100 Hospitationen durchgeführt. Die in den Tochtergesellschaften sind dabei nicht mitgezählt. Eine erfreuliche Anzahl, wie ich finde. Es gab auch einige Stellenwechsel, aber wie gesagt, sie sind nicht der primäre Zweck des Ganzen. 
Was machen Sie noch, um Beschäftigte im Wandel zu unterstützen?

Eine Sache liegt uns ganz besonders am Herzen: Mitarbeitende, die in Geschäftsbereichen arbeiten, die von betrieblich notwendigen Veränderungen betroffen sind, bestmöglich zu unterstützen, etwa im internen Bewerbungsprozess oder mit Qualifizierung. Wir haben dafür eine eigene Organisationseinheit geschaffen – das „Karrierekraftwerk“. Das Team betreut und begleitet Betroffene persönlich auf dem Weg in eine neue Perspektive. Es gibt unterschiedliche Module, die dabei helfen, sich erst einmal zu orientieren und in Workshops die eigenen aktiven und nicht genutzten Kompetenzen herauszuarbeiten und zu entwickeln. So wird das Gefühl für die eigenen Stärken, Potenziale und Möglichkeiten geschärft, was den Kolleginnen und Kollegen ermöglicht, neue Perspektiven zu erkennen und Chancen gezielt zu nutzen. 

Bevor wir Stellen ausschreiben, räumen wir dem Karrierekraftwerk-Team immer Zeit ein, um zu prüfen, ob es in seinem Pool Mitarbeitende gibt, die für die Stelle infrage kommen. Erst danach wird sie intern bzw. extern ausgeschrieben. Es ist uns wichtig, die Transformation professionell zu begleiten und die Mitarbeitenden nicht alleine zu lassen.