Wie wirkt sich die Transformation auf die Qualifikationen von Beschäftigten aus?
Man kann die technologische und die ökologisch-soziale Transformation zusammen denken, insbesondere wegen der möglichen Interaktion zwischen technologischen Innovationen, die gleichzeitig auch Nachhaltigkeitskriterien genügen sollten. Was die Wirkungen angeht, zeigen Forschungsergebnisse meiner IAB-Kolleginnen und -Kollegen dass die ökologische Transformation auf dem Arbeitsmarkt voranschreitet; Berufe und Tätigkeiten sind über die Zeit hinweg umweltfreundlicher geworden.
Beim technologischen Wandel ist derzeit zuerst an die digitale Transformation zu denken und die Frage, wie und für welche Anwendungen Systeme, die auf künstlicher Intelligenz basieren, eingesetzt werden können. An einer Antwort, ob und wie dadurch Tätigkeiten unterstützt oder wegfallen werden, wird derzeit intensiv gearbeitet und ist auch im Fokus meiner Forschung. Sicher ist, dass sich in den meisten Fällen die Art und Weise, wie Tätigkeiten verrichtet werden, ändern wird. Ein Beispiel: Der Grobentwurf eines Nachrichtenbeitrages kann mit Unterstützung eines Large Language Modells erstellt werden. Dadurch fällt das manuelle Verfassen eines Textes nicht weg, aber es kommen das Prompting (die Aufforderung an das Modell, den Text zu verfassen) sowie die Prüfung und die Verbesserung des Entwurfs hinzu.
Technologische und ökologisch-soziale Transformationsprozesse verändern berufstypische Tätigkeitsprofile generell. Eher selten führen sie dazu, dass ganze Berufe verschwinden und wenn gelegentlich Berufe neu entstehen, gehen sie aus einer Spezialisierung, Abwandlung oder auch Synthese bestehender Berufe hervor. Diese Veränderungen machen die inhaltliche Anpassung oder Neugestaltung von Qualifizierungsmaßnahmen notwendig. Inhalte, die beispielsweise das Wissen für Tätigkeiten mit und auf Basis von Umwelttechnologien vermitteln oder den Umgang mit digitalen Technologien.
Gibt es Kompetenzen, die branchenübergreifend an Bedeutung gewinnen?
Berufe sind vom Wandel in den Kompetenzanforderungen unterschiedlich stark betroffen. Bei den MINT-Berufen verändern sie sich tendenziell stärker als beispielsweise bei pflegerischen Berufen. Das liegt auch an Unterschieden im möglichen und tatsächlichen Grad der Technologisierung. Fachliche Kompetenzen, sogenannte Hard Skills, verlieren nicht an Bedeutung, müssen aber immer häufiger aktualisiert werden. Dazu befähigen überfachliche Kompetenzen bzw. Soft Skills, die berufsübergreifend relevant sind. Ihre Bedeutung steigt auch deswegen, weil Organisationen größer und komplexer werden und sich schneller verändern als früher. Soft Skills befähigen zu erfolgreicher Zusammenarbeit, effektiver fach- oder branchenübergreifender Kommunikation, gegenseitigem Verständnis oder zum Erlernen immer wieder neuer fachlicher Inhalte. Größere Betriebe fragen Soft Skills, neben fachlichen Anforderungen, merklich häufiger nach und honorieren sie tendenziell auch zusätzlich.
Wie schätzen Sie die Substituierbarkeit bestimmter Berufe und Beschäftigtengruppen ein?
Eine tatsächliche Betroffenheit bzw. Substituierbarkeit für die Beschäftigung insgesamt und im Einzelnen ist schwer messbar. Die im IAB berechneten Substituierbarkeitspotenziale zeigen: Die Anteile der durch Technologien potenziell unterstütz- oder übernehmbaren Tätigkeiten sind seit geraumer Zeit für Helfer- und Anlerntätigkeiten und für Tätigkeiten, die eine Berufsausbildung voraussetzen, am höchsten. In letzter Zeit lässt sich aber auch ein starker Anstieg bei Höher- und Hochqualifizierten feststellen, auch wenn der Anteil betroffener Tätigkeiten hier immer noch niedriger ist. Dies lässt sich insbesondere durch die vielfach beschriebenen, erhofften oder tatsächlich schon realisierten Anwendungs- bzw. Verwertungspotenziale von KI-Technologien erklären. Die größten Potenziale zur Übernahme von Tätigkeiten finden sich in den Fertigungsberufen und die größte Dynamik in jüngster Zeit lässt sich bei den IT- und den naturwissenschaftlichen Dienstleistungsberufen ausmachen.
Wie kann man angelernte Kräfte unterstützen, um Schritt zu halten?
Personen ohne oder mit eher geringer Qualifikation haben oft schlechte Erfahrungen im Schul- oder Ausbildungssystem gemacht. Daraus können sich Ängste vor konkreten Lernsituationen im Erwachsenenalter ergeben, möglicherweise verbunden mit einer geringeren Lernbereitschaft. Die Lernbereitschaft sollte gefördert werden, indem positive Lernerfahrungen ermöglicht und entsprechende Anreize dafür gesetzt werden. Befragungen des IAB haben weitere Faktoren identifiziert, weshalb Beschäftigte Weiterbildungsangebote möglicherweise nicht annehmen: So sinkt die Teilnahmebereitschaft, wenn die Maßnahme außerhalb der Arbeitszeit stattfindet, sie schwer mit familiären Betreuungspflichten zu vereinbaren ist oder lange Fahrzeiten nötig sind. Eine geringere Weiterbildungsbereitschaft ergibt sich auch, wenn Beschäftigte vom Nutzen der Weiterbildung nicht überzeugt sind oder die qualifikatorischen und sprachlichen Voraussetzungen nicht erfüllen. Als mögliche Lernform für Menschen mit geringeren Qualifikationen kommt auch das gemeinsame, informelle und gegebenenfalls moderierte oder auch durch digitale Assistenzsysteme unterstützte Lernen am Arbeitsplatz in Betracht. Es fördert positive Lernerfahrungen.
Werden die Auswirkungen der Digitalisierung, insbesondere von KI, unterschätzt?
Eine abschließende Antwort auf diese Frage würde voraussetzen, dass uns die Auswirkungen vollständig bekannt sind. Möglicherweise trifft auch für Künstliche Intelligenz das durch den Computerspezialisten Roy Amara formulierte Phänomen zu: “We tend to overestimate the effect of technology in the short run and underestimate the effect in the long run.” Per se ist die kurzfristige Überschätzung vorteilhaft. Daraus ergeben sich intensive Debatten zu erwünschten Möglichkeiten und zu Grenzen, die beim KI-Einsatz gesetzt werden sollten. Außerdem werden Fragen zu seiner Wirkung gestellt und Antworten erarbeitet. Um die Technologie längerfristig nicht zu unterschätzen, müssen wir die Implikationen ihres Einsatzes für den Arbeitsmarkt, die Wirtschaft und die Gesellschaft weiter beobachten.
Wie würden Sie die Skepsis gegenüber digitalen Technologien abbauen?
Digitale oder KI-Systeme überzeugen immer dann, wenn Beschäftigte dadurch eine deutliche Entlastung spüren, sei es in physischer, psychischer oder zeitlicher Hinsicht. Und wenn sie die gewonnenen Ressourcen für ein effektiveres Handeln verwenden können. Vertrauen in den Technologieeinsatz lässt sich am besten erzeugen, wenn Unternehmen den Beschäftigten erklären, was von den Systemen zu erwarten ist, was sie von den Mitarbeitenden hinsichtlich einer effektiven Nutzung erwarten und was die Beschäftigten ihrerseits für die Gestaltung ihrer Aufgaben davon erwarten dürfen.