Interview

Zugewanderte
als Potenzial wahrnehmen

Viele Branchen sind auf die Einwanderung von Fachkräften dringend angewiesen. Doch oft kehren gut integrierte internationale Fachkräfte Deutschland wieder den Rücken. Prof. Dr. Bernhard Boockmann vom Institut für Angewandte Wirtschaftsforschung in Tübingen befasst sich mit Arbeitsmarktfragen, u. a. mit der Wirkung von Arbeitsmarktpolitik und der Rolle von Bildung und Migration. Wir haben ihn nach den Gründen der Fachkräfteabwanderung gefragt und welche Ansatzpunkte es gibt, um Fachkräfte in Deutschland zu halten.
 

Prof. Dr. Bernhard Boockmann

„Das Thema Qualifizierung muss von Anfang an mitgedacht werden. ”

Prof. Dr. Bernhard Boockmann, Institut für Angewandte Wirtschaftsforschung, Tübingen

Warum kehren internationale Fachkräfte Deutschland wieder den Rücken?  
Ein großer Teil der Abwanderungen hat arbeitsmarktbezogene Gründe, beispielsweise den Verlust des Arbeitsplatzes oder auch – bei internationalen Studierenden – das Ende einer Ausbildung. Dazu kommen familiäre Motive. Nicht selten sind es auch wirtschaftliche Gründe, wie z. B. hohe Mieten, und ein kleiner Teil der Abgewanderten gibt auch Diskriminierungserfahrungen am Arbeitsplatz, bei Behörden oder an anderer Stelle als Grund für die Abwanderung an. Bei den meisten trifft nicht nur einer, sondern mehrere der genannten Gründe zu.
Oft sind es ganz persönliche Gründe. Welche Stellhebel gibt es für die anderen Fälle, um die Fachkräfte zu halten?
So vielfältig wie die Gründe sind die Stellschrauben. Was die Chancen auf dem Arbeitsmarkt angeht, gibt es zu wenige spezifische Angebote für internationale Fachkräfte oder Studierende, hier sind z. B. die Bundesagentur für Arbeit und die Hochschulen gefordert. Aus den Unternehmen kennen wir viele erfolgreiche Beispiele, wie internationale Fachkräfte qualifiziert und gefördert werden. Diesen Ansätzen wünscht man eine weitere Verbreitung.
Ein Erfolgsfaktor für die Integration sind Sprachkenntnisse. Wie kann der Spracherwerb vereinfacht werden?
Grundsätzlich gibt es ein sehr gutes Angebot an Sprachkursen, insbesondere die Berufssprachkurse, die sich als Vollzeitkurse aber weniger an Beschäftigte als an Arbeitsuchende richten. Das Erlernen der deutschen Sprache sollte stärker mit der beruflichen Praxis verbunden werden. Hier gibt es viele praktische Schwierigkeiten, von der räumlichen Erreichbarkeit von Sprachkursen bis hin zur Kinderbetreuung. Es kommt entscheidend darauf an, dass die Probleme vor Ort erkannt werden und Kommunen, Unternehmen, Vereine und andere sich gemeinsam für Lösungen engagieren.    
Arbeitgeber im Gesundheitswesen haben schon viel Erfahrung mit internationalen Fachkräften. Können sie als Vorbild für andere Branchen dienen?
Die Arbeitgeber in den Gesundheitsbranchen gehen bei der Gewinnung neuer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Ausland teilweise sehr systematisch vor. Das können Branchen, die eher kleinbetrieblich organisiert sind, im Regelfall nicht leisten. Es gibt allerdings durchaus Beispiele, in denen sich besonders vom Fachkräftemangel betroffene Handwerksunternehmen zusammentun und international auf Fachkräftesuche gehen.   
Was halten Sie vom jüngst reformierten Fachkräftezuwanderungsgesetz?
Das Gesetz hat die Möglichkeiten zur Zuwanderung von Fachkräften zu Arbeitszwecken erheblich verbessert. Allerdings liegen die Probleme weniger bei den gesetzlichen Möglichkeiten der Zuwanderung, sondern eher im Bereich der öffentlichen Verwaltung – bei den deutschen Botschaften im Ausland und bei den Ausländerämtern im Inland. Das Fachkräfteeinwanderungsgesetz schafft für die Behörden einen Mehraufwand, dabei sind diese größtenteils personell unterbesetzt und können die vorgesehenen Aufgaben nicht so ausführen, wie es sich der Gesetzgeber vorgestellt hat.  
Werden sich durch das Gesetz die Einwanderungszahlen verbessern?
Es gibt noch keine Zahlen dazu, ob sich die Fachkräftezuwanderung seit Inkrafttreten des Gesetzes erhöht hat, aber es ist auch nicht zu erwarten, dass die Zahlen sprunghaft steigen – zum einen wegen des Zeitbedarfs vom Entschluss bis zur Realisierung einer Zuwanderung, zum anderen aufgrund der Schwierigkeiten in der Verwaltung.   
Ist es realistisch, eine qualifizierte Zuwanderung im benötigten Umfang zu erreichen? Das IAB spricht z. B. von einer Nettozuwanderung von 400.000 Personen jährlich.

Wegen der Fluchtmigration sind wir im Durchschnitt der letzten zehn Jahre nicht weit von einer Nettozuwanderung in dieser Größenordnung entfernt. Man sieht daran, dass es aufgrund der unterschiedlichen Gründe für Zuwanderungen sehr schwierig ist, den Umfang von Wanderungsbewegungen zu prognostizieren.   

Diejenigen, die schon in Deutschland sind, sollten stärker als Potenzial für den Arbeitsmarkt wahrgenommen werden. Für die Integration muss im Bildungssystem, am Arbeitsplatz, in öffentlichen Verwaltungen und in der Gesellschaft mehr getan werden. Daneben kann es auch sinnvoll sein, in bestimmten Berufsfeldern mit besonderer Knappheit an Arbeitsplätzen gezielt im Ausland zu rekrutieren. Hier sind in erster Linie die Unternehmen gefragt.